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Aufbau und Entwicklung eines Helfersystems
Überlegungen zur kombinierten Förderung und Forderung einer leistungsheterogenen Schülerschaft
- ein Praxisbericht -
Beobachtbar ist, dass eine Lehrkraft bei der Vermittlungund Festigung von Unterrichtsstoff oft die zentrale Instanz darstellt. Sie vermittelt und kommuniziert über weite Strecken des Unterrichts durch Vortrag oder lehrergelenktes Unterrichtsgespräch. Die Ergebnisse der Qualitätsanalyse in NRW zeigen, dass dieses Rollenverständnis immer noch eine starke Ausprägung erfährt. Selbst bei Partner- und Gruppenarbeit bleibt die Lehrkraft allzu oft die zentrale Instanz im Hintergrund, die bei erkennbarem Bedarf professionell berät, Impulse setzt, unmittelbar Tipps und Hilfestellungen gibt. Unabhängig davon, dass diese Unterrichtsmethode für die Lehrkraft - bezogen auf einen achtstündigen Schultag - äußerst kräftezehrend wirkt, unterstützt sie bei den Schülerinnen und Schülern eine Konsumentenrolle, die mit dem Kernlehranspruch auf Schüleraktivierung nur bedingt in Einklang zu bringen ist. Zu beobachten ist: Die Schülerschaft stellt sich in der Regel auf diesen Unterrichtsstil ein. Sie reagiert auf Impulse, Nachfragen und direkte Aufforderungen zur Mitarbeit, hält sich aber beim eigenverantwortlichem Mitdenken und Mitgestalten wie auch bei der Verantwortungsübernahme merklich zurück. Bei Einzelarbeit, selbst aber auch bei Partner- und Gruppenarbeit wird bei Problemen und Unklarheiten relativ schnell auf das Wissen der Lehrkraft gesetzt. Die Schüler melden sich und warten geduldig (oft mehrere Minuten lang!) bis sie von Seiten der Lehrkraft professionelle Hilfe (Textverständnis, fehlenden Vokabelwissen, Verständnisfragen, zielgeleitete Impulse, etc.) erhalten.
Unabhängig davon, dass ein solches Unterrichtsdesign mitverantwortlich für Unterrichtsstörungen sein kann, ist an diesem Verfahren die unzureichende Ausschöpfung abrufbarer und vorhandener Lern-, und Begabungspotentiale zu kritisieren. Zum einen wird durch das Warten auf Lehrer-Hilfe temporäre Lernabstinenz gefördert (Verlust an realer Lernzeit), zum anderen bleiben – dadurch dass die Lehrkraft nicht gezielt auf Hilfe- und Beratungskompetenzen teilleistungsstarker Schüler rekurriert, die zu verfeinernden, ggf. zu entwickelnden Metakompetenzen dieser Zielgruppe (Festigung und Vertiefung erworbener Kenntnisse durch Beratung und Hilfestellung, Verfestigung der eigenen Gedankenstruktur durch zielorientierte Beratung und Begleitung, Verfeinerung der Kausalargumentation im Interesse von Verständlichkeit und Nachvollzug ) unzulänglich gefordert.
Der Aufbau eines Helfersystems schafft Abhilfe an den oben beschriebenen Kritikpunkten.
Beim Aufbau ist auf das Rollenverständnis, auf die Qualität der Hilfe sowie die gegenseitige Akzeptanz zu achten. Denn Helfen will gelernt sein, erschöpft sich allzu oft im Vorsagen der richtigen Ergebnisse und berücksichtigt nicht immer in angemessener Weise symmetrische Kommunikationsformen. Bei richtiger Vorgehensweise lernen Hilfesuchende wie auch Hilfegebende voneinander. Darüber hinaus sind Überlegungen anzustellen, wie die Lehrkraft trotz der Aufgabendelegation an den Schülerhelfer mit ihrem Coach-Auftrag eingebunden bleibt. Die Entwicklung eines Helferprinzips ist aus diesem Grunde anzuleiten und bedarf eines klaren Referenzrahmens sowohl für denjenigen, der um Hilfe ersucht, wie auch für den, der Hilfe vermittelt. Darüber hinaus ist die Rückkoppelung mit der Lehrkraft zu sichern.
Phase I (Sensibilisierungsgespräch)
Zunächst gilt es in einem Unterrichtsgespräch durch Widerspiegelung des oben benannten Arbeitsverhaltens auf das Problem aufmerksam zu machen und die Schülerschaft für Handlungsbedarfe und Abänderungsideen zu gewinnen.
Herauszuarbeiten in diesem Zusammenhang sind - die verschiedenen Formen von Lernhilfen, die unabhängig von der Lehrkraft, im Klassenverband Anwendung finden können: spontane Partnerhilfe, thematisch gebundener Tischgruppenaustausch; gezielte Benutzung von Hilfsmitteln (Dictionaries, Internet, Sachbücher, Lösungsbögen, etc.); Expertenanforderung (leistungsstarke Schüler helfen Schülern), - Vorteile und mögliche Stolpersteine, die sich durch Dritthilfe ergeben - die besonderen Anforderungen, die an eine beidseitig gewinnbringende Expertenhilfe (geregeltes Helfersystem) zu richten sind. In diesem Zusammenhang sind zu thematisieren:
Phase II (Praxisanwendung)
In der Praxis gliedert sich der zu konditionierende Ablaufprozess in verschiedene Phasen:
1. Entscheidungsphase
Im Unterricht beobachtbar ist der schnelle Rückgriff auf die Lehrkraft. Die Lehrkraft kennt die Vokabel, die richtige Lösung, das Ergebnis. Mit dem Anspruch auf Schüleraktivierung und verbreiteter Verantwortungsübernahme hat sich die Lehrkraft aus dem aktiven Beratungsprozess herauszunehmen und verstärkt als Vermittler von Schülerhilfe aufzutreten.
Wenn der Helfer vermittelt ist, bedarf es zunächst der Klärung, um welches Problem es geht. Dabei ist eine klare Rollendefinition wichtig. Die Hilfesuchende wie auch Helfer wissen, dass das konkrete Problem benannt werden muss, um Hilfe zu erhalten bzw. zu geben. Auf die Nachfrage: „Was ist dir unklar?“ und der Antwort „Alles!“ muss der Helfer nicht eingehen. Das Problem ist gemeinsam einzugrenzen. Erst dann kann geholfen werden.
2. Beratungs- und Konstruktionsphase
Nicht angeleitete Helfer neigen dazu, Lösungsschritte oder auch Ergebnisse vorzu-sagen.
Der angeleitete Helfer orientiert sich bei seinen Handlungsschritten am „Kontroll-Leitfaden“. Er geht das Problem bzw. den Lösungsweg mit dem Schüler Schritt für Schritt durch, fordert – sofern nicht vorhanden – die Zwischenrechnungen (detaillierte Lösungsschritte) ein, macht auf Fehlerquellen aufmerksam, arbeitet mit Beispielaufgaben, verweist auf Quellentexte oder ähnlich bearbeitete Aufgaben, sichert ggf. das Anwendungswissen durch Berechnen lassen einer vergleichbaren Aufgabenstellung. Dieser Anspruch ist hoch, und ist daher von der Lehrkraft - insbesondere in der Anfangsphase – im Hintergrund zu begleiten. Regelmäßige Reflexionsgespräche zu den Beobachtungen haben stattzufinden und dienen der zunehmenden Verfahrensicherheit.
3. Rückkoppelungs- und Reflexionsphase
In der Abschlussphase der Beratung wird die Effizienz der Hilfe, aber auch die Art und Weise der Beratung zwischen dem hilfesuchenden Schüler und dem Experten-Helfer reflektiert. Auf der Rückseite der „Mathe-Helfer-Karte“ dokumentieren die beiden Schüler den Austausch- und Beratungsprozess wie auch den Lernerfolg. Diese Karte erhält der Fachlehrer. Zusammen mit der auf einem Extrablatt bearbeiteten Rechenaufgabe kann die Lehrkraft anhand der schriftlichen Rückmeldung ablesen, zu welchen Punkten Lob für die Beteiligten angesagt ist oder Optimierungsbedarf besteht.
4. Anwendungs- und Stärkungsphase
Die schriftlichen Unterlagen (ausgefüllte Rückseite der Helferkarte, dokumentierte Rechnung auf einem Extrablatt) liefern für die Lehrkraft Gesprächsanlässe sowohl für die Experten-Helfer als auch für diejenigen Schüler, die Hilfe in Anspruch genommen haben. Gesprächsziel dieser Einzel- oder Gruppenreflexionen ist, positive Vorgehens-weisen zu stärken, Verfahren zu konditionieren und mögliche Stolpersteine abzubauen.
Schüler, die glauben, nunmehr den Arbeitsauftrag zu beherrschen und alleine bearbeiten zu können, erhalten von der Lehrkraft die Möglichkeit während des laufenden Unterrichts auf der Rückseite der Tafel eine ähnlich gelagerte Aufgabe zu bearbeiten. Ist der Schüler fertigt, wird die Tafel aufgeschlagen, und die Klasse überprüft die Rechenschritte und das Ergebnis.
Bei Lernerfolg erfolgt ein positiver Vermerk in der Notenkladde. Ggf. darf dieser Schüler den Helfer noch einmal erneut in Anspruch nehmen. Über die Meta-Kompetenzen des Helfers macht sich die Lehrkraft ebenso einen Leistungsvermerk.
Anhang:
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